Versuch eines Perspektivenwechsels
Das unbeliebte Spinnentier einmal aus einem anderen Blickwinkel
Franziska Kokemor
Niemand mag Zecken. Auch ich nicht. Tierhalter hassen sie geradezu.
Ich möchte Ihren Blick einmal in eine andere Richtung lenken.
Ins Grübeln kam ich vor einiger Zeit, als ich wie üblich die Hunde nach dem Spaziergang absuchte und eine Zecke entfernte. Wie ebenfalls üblich, wollte ich sie töten. Ich war völlig perplex, denn ich erhielt von der Zecke plötzlich den Impuls: Warum willst du mich töten? Ich bin ja schon weg und schade deinem Hund nicht mehr. Lass mich laufen. – Die Zecke blieb am Leben. Seither übergebe ich die abgesuchten Krabbeltiere der Natur oder noch lieber unseren Nachbarshühnern. Die fressen die nämlich.
Was gibt uns das Recht zu sagen, ein Lebewesen, eine Art sei unnütz, nichts wert? Nur weil wir finden, wir haben keinen Nutzen davon. Wir möchten immer profitieren können. Dass die Krankheiten, die die achtbeinigen Spinnentiere übertragen können, teilweile sogar lebensgefährlich sein können, will ich auf keinen Fall klein reden. Oder dass ein Massenbefall von Zecken ein Tier aufgrund des Blutverlusts töten kann. Dass wir uns und unsere Tiere nach Zecken absuchen und davor möglichst schützen, halte ich für wichtig.
Aber vielleicht können wir trotz allem Respekt haben für Lebewesen, die unglaubliche Belastungen überstehen und die zu großartigen Leistungen fähig sind? Zecken können Toilettenspülungen und nicht zu heiße Waschgänge überleben. Einmal satt, halten sie Monate ohne Nahrung aus. Sie nehmen ihre Beute wahr mit Sinnen, die uns Menschen fehlen. Sie können sich um ein Mehrfaches ihrer normalen Größe aufblähen und immer noch krabbeln. Ist das nicht staunenswert?
Nach dem oben beschriebenen sehr überraschenden Erlebnis mit dem ungeliebten Spinnentier habe ich bewusst Kontakt zu einer Zecke gesucht. Folgendes hat sie mir gesagt:
„Wir sind einzeln, aber wir sind alle verbunden. Ihr foltert uns: Ihr steckt uns in Brand, ihr zerdrückt uns, zerplatzt uns, vergiftet uns… Dabei docke ich nur an, ernähre mich, indem ich eine winzige Menge Blut entnehme und lebe davon sehr lange. Wollt ihr nicht auch einfach essen, leben, überleben…? Wenn ich Erreger in mir trage, die euch schaden, kann ich doch nichts dafür. Aber wir sollen eliminiert werden?! Habt ihr Menschen schon mal überlegt, was ihr so alles an Übel und „Krankheiten“ verbreitet? Ihr sagt: Die schrecklichen Viecher, die schaden nur, die sind zu nichts nütze. Aber wer sagt denn, dass eine Lebensform zu irgendwas gut sein muss? Außerdem dienen wir als Nahrung. Vögel picken solche wie uns einfach so weg. Zack. Warum muss alles für euch von Nutzen sein? Aber das mögt ihr, nicht wahr? Mal anders gefragt: Wozu seid ihr Menschen eigentlich gut? Habt ihr euch das schon gefragt? Schaut euch mal um – habt ihr fein gemacht. Aber wir sind die schlimmen, schädlichen, unnützen und hässlichen Schmarotzer in euren Augen.
Mit diesen Zeilen möchte ich Sie nicht zum Zeckenliebhaber überreden. Aber vielleicht lohnt es sich, einmal die Perspektive zu wechseln und die sogenannten Parasiten mit anderen Augen zu sehen. Wenn auch nur für den Moment.
https://www.tiertherapie-kokemor.de/die-zecke-versuch-eines-perspektivenwechsels